Auf der Grundlage seiner ausgezeichneten Recherchen beschreibt und bewertet E. Fuller Torrey die Entwicklung, Ausbreitung und den Einfluss der freudschen Theorie von ihren Anfängen an in Wien Ende des 19. Jahrhunderts. Obwohl anfangs belächelt, machte vor allem in Amerika Freuds Auffassung, dass menschliches Verhalten in erster Linie von sexuellen und anderen niederen Trieben bestimmt wird, eine beispiellose Karriere und wurde besonders in den sonst so kritischen Bildungsschichten in den Status einer Ersatzreligion gehoben. Zunächst nur als exotische Pflanze in den Gewächshäusern der New Yorker Intellektuellen kultiviert, erreichten freudsche Motivtheorien in Wechselwirkung mit anderen Strömungen wie der Nature-Nurture-Debatte, als Ersatz für den Marxismus und zusammen mit der Sexuellen Revolution besonders nach dem Zweiten Weltkrieg im Umfeld des sozialen Aktivismus und politischen Liberalismus der 1960er Jahre ungeahnte Popularität. Im Laufe eines Jahrhunderts wurden als Folge der bis heute andauernden Anerkennung freudscher Denkweisen fast alle wichtigen gesellschaftlichen Bereiche wie Anthropologie, Soziologie, Kinderziehung, Bildungs- und Gesundheitswesen, Rechtsprechung, Strafvollzug und große Teile der Medienlandschaft und Unterhaltungsindustrie nicht nur in Amerika, sondern eigentlich in allen westlich orientierten Gesellschaften, mehr oder weniger unbemerkt, doch äußerst effektiv beeinflusst. Noch weitergehend wurde freudsches Gedankengut in den ungeprüften Glauben von Durchschnittsmann und -frau eingeimpft.[1]

Obwohl man nicht verleugnen kann, dass bestimmte Aspekte oder Elemente von Freuds Theorie richtig sind – die er zu einem großen Teil aber auch von anderen übernommen hat –, kann vielen seiner grundlegenden Behauptungen mangels Nachprüfbarkeit nicht zugestimmt werden. Torrey weist anhand vieler Studien nach, dass z. B. ein Zusammenhang zwischen frühkindlichen Entwicklungsphasen (ödipal, oral, anal) und erwachsenen Persönlichkeitsmerkmalen nie erbracht werden konnte. Somit stellen die auf diesen zentralen Annahmen basierenden Formen Freud-geprägter Psychotherapien und -beratungen eigentlich einen Betrug dar – wenn man so will „freudsche Fehlleistungen“. In seiner Bilanz kommt Torrey im Einklang mit vielen anderen zu dem Schluss, dass die Anwendung freudscher Lehren zwar auch Positives bewirkt hat, dass negative Auswirkungen wie Narzissmus, Verantwortungslosigkeit, Diskriminierung von Frauen und falsch verteilte Ressourcen stark überwiegen.

Speziell die von freudschen Ansichten stark beeinflusste psychotherapeutische Szene und damit verbunden auch die so genannte Human-Potential-Bewegung ist sicherlich mit den besten Absichten an das Thema Selbstfindung und -verwirklichung herangegangen. Doch Torrey zeigt, dass auch dieser Bereich stark von berühmten Anhängern der freudschen Lehre wie Wilhelm Reich, Paul Goodman oder Fritz Perls beeinflusst wurde.

Wie im Vorwort zu dieser ersten deutschen Ausgabe dargelegt wird, muss man jedoch nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht die auf freudschem Denken gründenden Ansätze in Frage stellen, sondern auch aus spiritueller. Ein dem Menschen zu Grunde liegendes spirituelles System ist aus heiligen Texten fast aller großen Kulturen lange bekannt. Durch eine Aktualisierung und Bereinigung dieses Wissens – wie es durch Shri Mataji Nirmala Devis Methode zur Selbstverwirklichung erreicht wird – ist es für jeden Einzelnen möglich zu erkennen, wie unvollständig, falsch und schädlich Freuds Ideen waren und sind. Als Basis für eine brauchbare Selbsterkenntnis taugen Freuds Methoden aus spiritueller Sicht keinesfalls – im Gegenteil, sie führen in die Irre und in Sackgassen.

Welche hohe Bedeutung das Selbst, also das Es hat, erkannte und erfuhr auch C. G. Jung nach seiner Trennung von Freud:

Er beschrieb später das Unbewußte als Quelle und Ursprung aller großen, kreativen Ideen, als Basis aller Wirklichkeit, und nicht etwa wie Freud in seiner beschränkten und destruktiven Sichtweise als persönlichen Abfalleimer voll primitiver Triebe.[2]

Und weiter schrieb er:

„[D]ie innerseelische Wirklichkeit in jedem Menschen hat letztlich eine geheime Zielstrebigkeit, das Selbst zu verwirklichen.“[3]

Letztlich kann man sich Fuller Torreys Resümee anschließen, wenn er sagt, dass es

die Herausforderung für das 21. Jahrhundert ist, das menschliche Verhalten auf ein festeres wissenschaftliches Fundament zu stellen … Da sie keine wissenschaftliche Basis hat, würde die freudsche Theorie keine Rolle mehr bei diesem Versuch spielen. Langsam wird sie deshalb aus dem Blickfeld verschwinden, so wie es die Grinsekatze einst tat – außer dass in diesem Fall das Grinsen zuerst und die Geschlechtsorgane ganz zum Schluss verschwinden werden

und ebenso Shri Mataji Nirmala Devi:

So wie es aussieht, scheint es aber notwendig, zunächst die Eltern selbst im Hinblick auf ihre Verantwortung und ihre spirituellen Pflichten zu erziehen. Als allererstes muss dafür das zerstörerische Vermächtnis Freuds ein für alle Mal über Bord geworfen werden. Es kann dadurch geschehen, dass die freudsche Psychologie aus den Unterrichtsplänen der Schulen und Universitäten gestrichen wird.[4]



[1] Fisher, S. and Roger P. Greenberg: The Scientific Credibility of Freud's Theories and Therapy (New York: Basic Books, 1977)

[2] Shri Mataji Nirmala Devi (Srivastava, N.): Das Metamoderne Zeitalter (Dallgow: Sahaja Yoga Germany e. V. (Hrsg.), 2000); Titel der englischen Originalausgabe: Shri Mataji Nirmala Devi: The Meta Modern Era (Pune: Vishwa Nirmala Dharma (ed.), 1996).

[3] Jung, C. G. , Franz, M.-L., Henderson, J. L., Jacobi , J. und A. Jaffé: Der Mensch und seine Symbole. (Olten: Walter, 1980)

[4] Shri Mataji Nirmala Devi (Srivastava, N.): Das Metamoderne Zeitalter.